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Bildrauschen, erhellend

Digitale Kameras steigern ihre Lichtempfindlichkeit durch die Erhöhung des ISO-­Wertes. 100 ISO gilt bei vielen Fotografen als Benchmark schlechthin. Wir haben aus Anwendersicht genauer hingeschaut – mit erhellenden Ergebnissen. Ralf Turtschi

Wenn das auf den Sensor eintreffende Licht zu wenig hergibt, dass ein natürliches Signal entsteht, kann die kamera­interne Software das Licht so wie bei einer Nachtsichtkamera verstärken. Dadurch entstehen Nebenwirkungen, die sich als Bildrauschen äussern. Das Rauschverhalten wird bei allen Kamera­tests als Qualitätsmerkmal gesehen, im Labor getestet und bewertet. Mein Ansatz ist ein praktischer. Mich interessieren folgende Fragen:

  • In welchen Anwendungsfällen ist Bild­rauschen generell relevant?
  • Mit welchen ISO-Werten kann ich bei schlechten Lichtbedingungen ohne Bildrauschen fotografieren?
  • Gibt es gar einen ISO-Grenzwert für das Bildrauschen?
  • Welche Rolle spielen die Sensorgrösse und die Pixeldichte?
  • Ist JPEG oder RAW bezüglich Bild­rauschen besser?
  • Welche Massnahmen stehen für die Rauschreduzierung zur ­Verfügung?

Diesen praktischen Fragen will ich auf den Grund gehen. Das Bildrauschen wurde durch ­Algorithmen im Bildprozessor stetig minimiert und hat heute eine noch nie da gewesene Qualität erreicht. Es ist davon auszugehen, dass die Entwicklung noch weitergehen wird.

Wie entsteht Bildrauschen?

Vorbemerkung: Die Darstellung von Bildrauschen in einem Printmedium ist nicht ganz so einfach, weil die Rasterpunkte des Druckverfahrens der Griessigkeit entgegenwirken. Auch in der Online­ergänzung mit den Aufnahme­serien (siehe PubLink-Nummer am Ende) macht die JPEG-Komprimierung im PDF die Darstellung von Bildrauschen schwierig.

Das digitale Bildrauschen macht sich durch ein griessiges Bild bemerkbar, welches sich mit dem Fotokorn von Analogfilmen vergleichen lässt. Eine Aufnahme mit einem groben Korn (bzw. mit grobem Bildrauschen) kann gleichzeitig keine kleinsten Feinheiten abbilden.

Wenn das Licht in Form von Photonen auf den Sensor trifft, wird es im Analog-/Digital-Wandler vom elektrischen in ein digitales Sig­nal umgewandelt, welches einem Farbwert in RGB entspricht. Bei wenig Licht entsteht ein schwaches Signal, das verstärkt wird. Die Algorithmen sind auch auf andere Verbesserungen wie Schärfe, Kontrast, Dynamik­umfang oder Dateigrösse ausgelegt – das Bild­rauschen steht hier nicht allein in der Landschaft.

Das Luminanz-Bild­rauschen (Helligkeit) macht sich als Körnigkeit bemerkbar, das chromatische Bildrauschen tritt als Farbstörung auf. JPEG-Bilder verhalten sich bezüglich Farbe innerhalb der verschiedenen ISO-Einstellungen konstant neu­tral. RAW-Bilder zeigen ein anderes Verhalten. Bei der Entwicklung in Lightroom werden die schwarzen Tiefen (in der Perücke) bläulich «gepusht». Bei hohen ISO-Werten gibt es Nachteile, eine natürliche Farbwiedergabe ist erschwert und die Schärfe leidet. Je kleiner der Sensor bzw. die Pixeldichte, desto stärker ist dieser Effekt. Die partielle Entsättigung einer solchen Farbstörung mittels Photo­shop ist zwar möglich, aber wohl nicht jedermanns Sache. Es lohnt sich deshalb, mit der eigenen Kamera ISO-Grenzwerte auszuloten und zu erfahren, wie JPEG und RAW auf dem Bildschirm nach der Entwicklung aussehen.

Wann ist Bildrauschen relevant?

Bildrauschen ist nur ein Thema, wenn in normaler Sichtdistanz die typische Griessigkeit als störend wahrgenommen wird. Bei Printprodukten, Tablets oder Handys ist die Sehdistanz etwa 40 cm. Bei Plakaten kommt es auf die Grösse an. Ein Türplakat wird etwa von einem bis fünf Metern wahrgenommen, ein Megaposter sieht man auch aus 100 Metern Distanz. Digitalkameras liefern heute so gute Resultate, dass das Bild­rauschen auf Handys und Tablets kein wirkliches Thema ist.

Die «Körnigkeit» hat winzige Dimensionen, die in vielen Fällen schlicht unter dem menschlichen Wahrnehmungsvermögen liegen. Wenn 36 Megapixel einer Nikon D810 auf Handy-Grösse mit 1 Megapixel heruntergerechnet werden, sind Feinheiten wie Griessigkeit nicht mehr zu sehen. 24 Megapixel eines APS-C-Sensors ermöglichen gedruckte Bilder in der Grösse um 50 × 30 cm – in einer optimalen Qualität mit 300 ppi. Bei ­solchen Grössen wird das Bildrauschen sichtbar sein, aber nicht auf einem ­Tablet mit 2048 ×1536 px Auflösung.

Erst wenn Ausschnitte gewählt werden oder das Bild skaliert wird, treten körnige Strukturen hervor. Und auch nur in mittleren bis dunklen Tonwerten. Bildrauschen ist bei Postern, Wandkalendern oder Fotobüchern mit ganzseitigen Bildern relevant.

In vielen Fällen liefert die Kamera weit mehr Daten, als die heutigen Verbreitungssysteme zu verarbeiten in der Lage sind. Durch das Konvertieren (von RAW zu JPEG oder von einer gros­sen Ursprungsdatei zu einer kleinen Publikationsdatei (Internet) wird ein allfälliges Bildrauschen schlicht herausgerechnet. Es verhält sich damit ähnlich wie bei der Schärfe. In Handygrösse wiedergegeben, bemerkt man weder Bildrauschen noch Unschärfe. Wenn das Foto vergrössert wird, treten Fokusfehler und Rauschen deutlich hervor.

Wer beim Shooting nicht weiss, wo und in welcher Technik die Bilder dereinst präsentiert werden, steckt in einem Dilemma. Soll man nun einfach aufs Geratewohl das Beste aus seinem System herausholen und 100 ISO einstellen? Wenn Bilder schliesslich heruntergerechnet werden, erleiden sie keine Qualitätseinbusse, und wenn später einmal ein Wandposter gefertigt werden soll, hat man die bestmögliche Qualität zur Verfügung. Allerdings erkauft man sich diese Qualität mit weniger Spielraum beim Einstellen von Blende und Belichtungszeit.

All diese Betrachtungen gelten für das freie Fotografieren ohne Blitz­anlage und Stativ.

Welche ISO-Einstellungen?

Ich gehe wie folgt vor: Falls ich genügend Spielraum bei Blende und Zeit habe, stelle ich 100 ISO ein. Wenn ich nur noch mit offener Blende oder einer grenzwertigen Zeit arbeiten kann, schraube ich den ISO-Wert hinauf, um mehr Spielraum zu gewinnen. Die ISO-Grenze liegt bei jeder Kamera anders. Da tun sich bekanntlich zwischen den Puristen und den Moderaten grosse Abgründe auf. Bei einer Vollformatkamera bringen 10 000 ISO durchaus gute Resultate, wenn man Rauschunterdrückung einstellt oder in Lightroom nachhilft. Im Halbformat (APS-C, DX) empfehle ich, die Grenze bei etwa 5000 ISO zu ziehen.

Beim iPhone wird der ISO-Wert automatisch eingestellt. Bei Dunkelheit sind keine guten Resultate möglich. Die Metadaten sagen aus, dass bei 2000 ISO Schluss ist. Für meinen Geschmack beginnt das Bild bei etwa 1000 ISO gewaltig zu rauschen. Handy­bilder und Fotobücher sind deshalb kein gutes Gespann. Es wird ja immer wieder orakelt, ob Handys künftig Digitalkameras ersetzen können. Etwa so, wie man einen Formel-1-Boliden mit einem Cinquecento ersetzen wollte. ­Irgendwie unseriös.

Der tiefste ISO-Wert (meistens 100 ISO) liefert bezüglich Schärfe und Rauschen die besten Bildresultate, keine Frage. Der Punkt ist ein anderer. Zwischen 100 und 800 ISO ist heute fast kein Unterschied mehr auszumachen. Weshalb aber drei Belichtungsstufen verschenken, wenn 800 ISO nahezu gleich gute Resultate liefert wie 100 ISO? In der Zeit- und Blendenwahl bin ich mit 800 ISO flexibler unterwegs. Oft ist gerade in kritischen Lichtsituationen (Familienfest, Zoo, Hochzeit, Indoor) entscheidend, ob man mit 1/50 oder mit 1/500 Sek. fotografieren kann. Bei schummrigem Licht, in der blauen Stunde oder beim Eindunkeln kommt man nicht umhin, mit hohen ISO-Werten zu fotografieren, um Bilder nicht zu verwackeln. Ein kleines Rauschen ist besser als ein verwackeltes Bild.

Wo die Schmerzgrenze beim Bild­rauschen liegt, ist vom Kameramodell abhängig und davon, wo die Bilder später betrachtet werden. In der Sportfotografie oder im Theater sind 10 000 bis 25 000 ISO angebracht, die Verschlusszeit hat Priorität. Wer Bilder in grossformatigen Fotobüchern zeigen will, ist gut beraten, den ISO-Wert möglichst tief zu halten.

Eine Vollformatkamera bietet immer bessere Resultate als eine Kompaktkamera mit kleinem Sensor. Und: Die Software im Bildprozessor wird laufend besser. Je neuer die Kamera, desto kleiner ist das Bildrauschen.

Rauschunterdrückung

Digitalkameras können Bildrauschen mit abgestuften Einstellungen (gering/Standard/stark) reduzieren. Das funktioniert jedoch nur bei hohen ISO-Werten und nach meiner Erfahrung mit mässigem Erfolg. Die beste Rauschunterdrückung erfolgt, wenn mit JPEG statt mit RAW fotografiert wird. Die verlustbehaftete JPEG-Bildkompression macht mit Griessigkeit kurzen Prozess. Für einmal ist der Verlust ein «Gewinn». Mit JPEG neigen Bilder jedoch dazu, schwammig zu werden. Auch hier sind kleine Sensoren deutlich im Nachteil.

RAW-Konverter wie Lightroom können ebenfalls gut mit Rauschreduzierung umgehen. Im Entwickeln-Modul unter dem Reiter «Details» kann die Rauschunterdrückung eingestellt werden. Das Bild wird dadurch tendenziell aber etwas schwammiger. Beim subtilen Einsatz ein hervorragendes Mittel, der Griessigkeit Herr zu werden. ↑

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Grosse und kleine Sensoren

Generell gilt:

1. Je grösser der Sensor, desto besser ist das Rauschverhalten.

2. Je kleiner die Pixel auf dem Sensor, desto besser ist die Schärfeleistung.

3. Je grösser die Pixel, desto besser ist das Rauschverhalten.

Pixeldichte

Auf einem Vollformatsensor, z. B. der Nikon D810, befinden sich 7360 × 4912 lichtempfindliche Bildpunkte (Pixel), was zu einem Bild von 36,3 Mio. Pixel führt. In einer anderen Bauweise werden auf der gleichen Vollformatfläche weniger Pixel verbaut, was zu 24 Megapixeln führt. In der Abbildung unten sind zwei Sensoren mit unterschiedlich grossen Pixeln schematisch dargestellt. Angenommen, beides sind Vollformatsensoren, erzeugt der linke 36 Megapixel, der rechte 20. Jetzt trifft Licht in Form von drei Photonen (e–) auf den Sensor:

Testkonfiguration

Das Rauschverhalten wurde mit vier verschiedenen Kameras getestet: Canon EOS 5D Mark III (Vollformatsensor, 22,3 Mpx), Nikon D5300 (DX-Sensor, 24 Mpx), Canon PowerShot G5 X (1-Zoll-Sensor, 20,2 Mpx) und iPhone 6 (8 Mpx).

Das Testbild mit der weissen Maske wurde unter Praxisbedingungen im etwas abgedunkelten Wohnzimmer mit wenig seitlich einfallendem Tageslicht und einer Halogenglühlampe von einem Stativ aufgenommen. Bei unterschiedlichen Objektiven dürfen sich Aussagen nur auf das Bildrauschen beziehen, nicht auf andere Leistungen der Kameras.

Die Testserie wurde mit Zeitautomatik aufgenommen, mit einer mittleren Blende f16. Die Kameras zeichneten dabei gleichzeitig RAW- und JPEG-Daten auf. Es entstanden verschiedene Bildserien von 100 ISO bis zum maximalen ISO-Wert der Kamera. Und zwar einmal mit Standard-Rauschunterdrückung und einmal ohne Rauschunterdrückung. Beim iPhone wurde der Raum stufenweise verdunkelt. Die dabei im iPhone 6 angewendete ISO-Zahl kann in den Lightroom-Metadaten ausgelesen werden. Der Maximalwert beträgt 2000 ISO.

Sensoren und Schärfe

Die Grösse der Kamerasensoren spielt bei einigen fotografischen Parametern eine Rolle. Man unterscheidet zwischen der Sensorfläche und der Pixelgrösse (Pixeldichte). Die Grös­se eines einzelnen Sensorpixels führt zu einer Anzahl Megapixeln, die der Sensor schreiben kann. Es ist also die Pixeldichte, nicht die Sensorgrösse, die zu Schärfe führt. Ein Vollformatsensor bringt bei gleicher Pixeldichte ein grösseres Bild zustande als ein APS-C-Sensor. Die Schärfeleistung ist davon nicht tangiert. In der Praxis kann man Vollformatbilder einfach wesentlich mehr vergrössern, ohne dass Einbussen an Schärfe auftreten. Vollformatbilder, die auf einem Handy betrachtet werden, haben hingegen keinen Vorteil gegenüber Bildern eines 1-Zoll-Sensors.

Ralf Turtschi ist Typograf, Grafikdesigner, Fotograf und Buchautor. Er hat sich durch seine Publikationen rund um das Thema Gestaltung, Fotografie und Publishing im deutschsprachigen Raum einen Namen geschaffen. Am Bildungszentrum Baden unterrichtet er im Diplomlehrgang Foto­grafie und an der Höheren Fachschule für Fotografie.

turtschi@agenturtschi.ch